Kurz, aber schön

Und schon war es Zeit, Andorra zu verlassen. Zu klein ist das Land. Es war kurz, aber schön.

Noch vor Sonnenaufgang machte ich mich heute auf. Die Sonnencreme schon einmal vorsorglich dick ins Gesicht, auf die Handrücken und Unterschenkel geschmiert ging es rund 600 Meter bergauf auf den Pass von Envalira auf 2408 Metern. Da ging mir schon zeitig die Puste aber das war noch der einfache Abschnitt.

Die Sonne schien ordentlich da oben. Es lag noch viel Schnee, die Skilifte liefen, die Leute rauschten auf Ski und Snowboards die Pisten hinab und es blies ein eisiger Wind. Genau richtig um in kurzer Hose zu wandern.

Auf der anderen Seite des Passes lag Pas de la Casa, eine Stadt, die noch zu Andorra gehört. Die Hauptstraße am Stadtausgang gehört dann aber schon zu Frankreich. Viele Franzosen fahren hier hoch um günstig zu tanken und einzukaufen.

Jedenfalls kam nach dem Pass der harte Teil, den nun hieß es, 1600 Meter abzubauen. Wenn ich gefragt werde, was härter ist? Bergauf oder bergab?, dann antworte ich immer „Bergab!“. Das geht ordentlich auf die Oberschenkel und Knie. Dazu drückt mein Karren auch noch ordentlich ins Kreuz. Ich war heilfroh, als ich dann heute nach 45 Kilometern den Ort Ax-les-Thermes erreichte. Ich bin hundemüde.

Es sei aber noch gesagt: Bonjour Frankreich! 😀

Raus aus den Bergen

Ein letztes Mal wanderte ich über einen der hohen Bergpässe, ein letzter Blick fiel zurück auf die schneebedeckten Gipfel. Vor mir liegen kleine Dörfer und ich wandere entlang schmaler Straßen.

Überraschend waren der viele Weinanbau in dieser Gegend. Das hatte ich so nicht erwartet, aber es ist halt Frankreich.

Am Stadtrand von Carcassonne habe ich einen tollen Campingplatz gefunden, der nur für Wanderer und Radfahrer ist. Er wird privat geführt und bietet Platz für fünf Zelte. Eigentlich nur ein Haus mit großem und schönen Garten und einem Teich. Eine kleine Laube ist die Küche, eine andere die Dusche und es gibt eine Trockentoilette. Mehr braucht ein Wandersmann auch nicht. Und ich habe mit meinen Zeltnachbarn gute Unterhaltungen.

Cité von Carcassonne 

Gestern legte ich endlich mal wieder einen vollen Ruhetag ein. Den letzten hatte ich in Baeza, Andalusien. Das Wetter war eh nicht sehr freundlich und so lümmelte ich bis 13 Uhr in meinem Zelt herum.

Dann ging es aber in die mittelalterliche Festungsstadt Cité von Carcassonne, die ihren Ursprung im 1. Jahrhundert vor Christus hat und über die Jahrhunderte immer weiter ausgebaut wurde. Heute ist sie ein Touristenmagnet mit vielen Geschäften, Bars und Restaurants. Nichts desto trotz ist ein großes und sehr beeindruckendes Areal.

Für heute hatte ich meine Route kurzerhand etwas abgeändert. Die Radler auf dem kleinen Campingplatz fuhren alle auf dem Radweg entlang des Canal du Midi, einem Kanal, der Sète am Mittelmeer mit Toulouse verbindet. Von Toulouse kann man wiederum entlang des Canal de Garonne bis nach Bordeaux an den Atlantik fahren.

Also ging es heute den Tag lang ostwärts. Es war wirklich schön und ein sehr entspanntes Gehen. Bei Homps biegt der Kanal aber nach Südosten ab. Das ist nicht meine Richtung. Für mich geht es morgen nach Nordosten weiter.

Schnee und Meer

Am gestrigen Abend zog eine große, dunkle Wolke auf und ich dachte mir schon, dass es eine ungemütliche Nacht werden könnte. Glücklicherweise zog sie westlich an mir vorbei. Als ich heute morgen jedoch in Richtung Pyrenäen schaute, waren die Gipfel der Vorberge weiß. Ich bin mir sicher, dass sie es gestern Abend nicht waren. Das wäre mir aufgefallen.

Auch in Andorra, ab 1500 Metern gab es Anfang dieser Woche Neuschnee und Tageshöchsttemperaturen von 0°C. Ich denke ich hatte da wirklich viel Glück mit dem Wetter und bin so froh aus den Bergen raus zu sein. Zudem habe ich keine Winterreifen drauf und die Schneeketten liegen daheim.

Überraschenderweise hatte ich heute auch noch einen Blick auf das Mittelmeer. Hinter den Ort Neffiès ging es bergauf. Weit am Horizont in ca. 30 Kilometer Entfernung war ein Hügel zu erkennen. Mit meiner Kamera herangezoomt und mit Googles Hilfe identifizierte ich ihn schnell als Mont Saint-Loup bei der Küstenstadt Agde. Und ein Schiff konnte ich auch noch erkennen.

Ich weiß nicht, aber dieser Umstand hatte mich voll happy gemacht. Es war einfach so unerwartet, doch noch einen Blick aufs Meer zu bekommen.

Keine 1000 Kilometer mehr

31.786 Kilometer. Das heißt, dass es bis in die Heimat nur noch rund 1.000 Kilometer sind. Ein Katzensprung.

Ich sehe immer wieder erstaunte Gesichter, wenn Leute auf meine Kilometertafel schauen. Oft staune ich auch über mich selbst und die Distanz, die sich in den letzten Jahren aufgebaut hat. Schritt für Schritt, Kilometer für Kilometer, Tag für Tag, Woche für Woche, immer ein bisschen mehr.

Am Ostersonntag, noch weit im Süden, hatte ich schon einen ersten Blick auf die französischen Alpen. Wieder weit am Horizont, wohl irgendwo südöstlich von Grenoble, guckten die weißen Gipfel hervor. Damit hatte ich wieder ein neues Ziel vor Augen. Tags zuvor hatte ich dieses irgendwie mental aus den Augen verloren. Das Wetter war einfach so mies, dass es mir echt aufs Gemüt schlug und ich schon zeitig nach 24 Kilometern mein Zelt aufschlug und den Rest des Tages herumlungerte. Kein Bock auf irgendwas, kein Fokus… einfach Leere. Aber mit dem Blick in diese weite Ferne war ich wieder voll dabei.

And jenem Ostersonntag traf ich auf André, der mit seinen 89 Jahren die Bäume auf einer großen Wiese verschnitt. Ich ging auf ihn zu und fragte, ob ich mein Zelt für die Nacht auf der Wiese aufstellen dürfe? Er sprach etwas Englisch und wir verstanden uns auf Anhieb. So zeigte er auf ein Haus in der nächsten Siedlung und bot mir an, mein Zelt in seinem Garten aufzustellen. Perfekt.

Sein Haus war so typisch aus Naturstein, innen Küche und Wohnzimmer zusammen mit großem Kreuzgewölbe, im Kamin brannte ein Feuer. Es war so richtig schön urig und hatte viel Charm.

Leider hatte seine Ehefrau die letzten Jahre geistig stark abgebaut, war nicht ansprechbar und pflegebedürftig. Da möchte ich nicht zu sehr in Detail gehen aber es war schön und ermutigend zu sehen, wie liebevoll und aufopfernd er sich um sie gekümmert hat. 65 Jahre seien sie verheiratet.

Ostermontag, ich war gerade aus der Stadt Alès raus, hielt ein Wagen neben mir. Jonathan hatte mich durch die Nachbarschaft wandern sehen und meinen Kilometerstand dazu. Grund genug für ihn mich aufzusuchen und zu fragen, ob alles in Ordnung ist oder ich etwas brauche. Das war eine super liebe Geste. Ich hatte alles für den nächsten Tag, fragte aber nach einen kleinen Stück Rasen für mein Zelt. Er rief seine Eltern an, die sofort zustimmen aber es stellte sich heraus, dass diese zu viele Kilometer in der falschen Richtung wohnten. Dann habe ich doch danken abgelehnt aber gefreut hatte ich mich riesig.

Eine der großen Lehren der letzten Tage war, dass ich mich nicht zu sehr auf Google Maps verlassen sollte, oder zumindest die Karte besser studieren sollte. So eine Abkürzung über die Feldwege kann viel Zeit sparen. Die Betonung liegt auf KANN. Anstrengend wird es, wenn der Weg plötzlich verwildert und man durchs hohe Gras muss, wenn der Weg zur Hauptstraße an der Straßenböschung endet und man den Karren die Böschung durch die Brombeeren hochziehen muss, wenn er dabei noch auf die Seite umfällt, wenn der Weg aus riesigen Steinen besteht und der Karren wild hin und her poltert, wenn die Weg durch Senken führt und Bäche gefurtet werden müssen. Immer wieder nasse Füße. Na ja, ich hab’s nun sein gelassen und folge weiter den offiziellen Wegen.

Die Rhône

Vorgestern führte mich mein Weg bei der Stadt Tournon-sur-Rhône über die – genau – Rhône. Damit verließ ich auch den östlichen Rand des Zentralmassivs. Touristisch ist die Gegend entlang der Ardèche und herum gut erschlossen und ich wanderte entlang guter Radwege, teils ehemalige Einenbahnstrecken, von Zeltplatz zu Zeltplatz.

Die Landschaft hat mich auch sehr angesprochen und ich hatte eine gute Zeit auf den Bergen wie auch in den Tälern.

Es war auch wieder Zeit in neue Sandalen zu schlüpfen. Das letzte Paar hatte ich schon letztes Jahr von Washington nach New York City getragen und somit hatte es nun über 2000 Kilometer die Sohlen runter geschliffen.

Ein wenig vertrauter

Ich bin nun nah der Alpen und folge dem Oberlauf der Rhône. Um Lyon habe ich einen Bogen gemacht und links neben mir liegen lassen. Eine herrliche Gegend ist das hier und das Wetter spielt auch mit.

Die Häuser haben plötzlich diesen alpenländischen Charakter. Diese grauen Häuser aus Naturstein wie im Süden oder Zentralmassiv sieht man nicht mehr. Ein Detail ist mir besonders aufgefallen. Die Dachziegel sind jetzt flach. Vorher waren sie halbrund und zeigten auf den Dächern immer abwechselnd die konkave und konvexe Seite nach oben. Solch kleine Details wirken einfach vertrauter und sie lassen mich wissen, dass mein Ziel immer näher komme.

Genf

Ach wie schön… Ich konnte ein paar Tage ausspannen und wieder etwas Kraft tanken. Ganz in der Nähe von Genf, auf französischer Seite, wohnen Brigitte und Alex, die Eltern meines ehemaligen Rugby-Teamkollegen Daniel. Da Genf quasi auf dem Weg liegt, hatte er mir angeboten, einfach seine Eltern zu fragen, ob sie mich beherbergen würden und für beide schien das eine Selbstverständlichkeit zu sein.

So legte ich am 1. Mai 33 Kilometer zu ihrem Haus zurück. Dabei lag das Jura zu meiner linken und die Alpen zu meiner rechten Seite. Am Nachmittag schaute ich überlegend auf die Alpen: „Diese Pyramide kenn ich doch?!“ Es war das Matterhorn, welches heraus stach und gleich daneben erhob sich der Mont Blanc mit seinen 4805 Metern. Ein wundervoller Anblick.

Bei Brigitte und Alex angekommen, machte mir niemand die Tür auf – falsche Hausnummer. 😅 Als ich dann aber vor dem richtigen Haus stand, war der Empfang sehr sehr herzlich. Mit Brigitte habe ich auch viele tolle Gespräche über Gott und die Welt, ihrer Zeit in Namibia, Südafrika und nun eben Europa und das Familienleben. Und wenn sie im Haushalt mal schnell jemanden zum Anpacken braucht, dann bin ich zur Stelle.

Alex ist gesundheitlich angeschlagen und zieht sich meist zurück. Er hat es sich aber nicht nehmen lassen, mit mir ins Besucherzentrum von CERN zu fahren. CERN ist das europäischen Kernforschungszentrum und hier wird Grundlagenforschung vom feinsten mithilfe des des größten Teilchenbeschleunigers der Welt, dem LHC (Large Hadron Collider) betrieben. Der Ringtunnel mit 26,7 Kilometern (16.6 Miles) und die riesigen Detektoren machen es zur größten und wohl auch komplexesten Maschine der Welt. Das Besucherzentrum lockt mit kleinen Experimenten und Installationen und gibt dabei Einblick in die Forschungsarbeit über die kleinsten Elementarteilchen, die das gesamte Universum zusammenhalten.

Genf ist sehr international aufgestellt. Das liegt zum einem am CERN, an dem täglich über 10.000 Wissenschaftler und Ingenieure aus aller Welt arbeiten, zum anderen hat hier das Internationale Rote Kreuz seinen Hauptsitz und auch die Vereinten Nationen (UN) mit ihren zahlreichen Unterorganisationen wie UNHCR, WTO oder WHO, für welche Alex tätig ist, sind vertreten.

Dazu ist die Stadt selbst recht übersichtlich und mit ihrer Lage am Alpenrand und Genfersee bot sich ein kleiner Bummel regelrecht an. Also setzte mich Brigitte in der Stadt ab.

Man merkt schnell, dass Genf in Summe wohlhabend ist und hier viel Geld fließt. Auch mein Geld floss, als ich für einen Crepe und Cappuccino umgerechnet 26 Euro zahlte. Man gönnt sich ja sonst nichts. Es war aber ein wirklich gelungener Nachmittag.