Denver

Die letzten 110 Kilometer und letzten drei Tage liegen nun auch schon hinter mir. Vielleicht kennt ihr das Gefühl, wenn man einem Ziel näher kommt, dass es sich dann doch etwas zäh wird. Beim Verlassen von Estes Park und musste mehrmals die Straßenseiten welchen da sich immer irgendwo in der Stadt Hirsche die Zeit vertrieben und denen solle man einfach nicht zu nahe kommen. Bevor sich die Landschaft wieder breit öffnete, musste ich durch einen langen Canyon. Die Strecke war durch ihre vielen Kurven unübersichtlich und der Verkehr enorm. Die meisten Fahrer dachten wohl, sie seien bei einem Hill Climb Race am Pikes Peak. Das war nicht nur alles super Nerven raubend sondern auch super gefährlich. Nur kurz vor Lyons, meinem Tagesziel, hatte ich dann endlich die Gelegenheit auf eine kleine Nebenstraße auszuweichen.

Der Rest verlief dann doch recht unspektakulär. Die Straßen sind meist im Schachbrettmuster angeordnet und durchnummeriert. Die Kantenlänge eines Quadrats entspricht dabei einer Meile (1,6 km), wofür ich etwas mehr als 20 Minuten benötige. Das macht die Berechnung der Strecke auf mit einem Blick auf die Karte möglich.

10. September 2022… Und dann war ich auch schon in Commerce City, einer der Satellitenstädte Denvers. Hier hatte mich Marco, der Bruder meines guten Kumpels Felix, samt seiner Familie herzlich empfangen. Ein geräumiges Gästezimmer und eigenes Bad. Luxus pur für jemanden, der sonst meist im Zelt schläft und sich mittels Wasserflasche wäscht.

Marco hatte sich die Tage immer ein paar Stunden frei nehmen können. Wenn ich mir etwas anschauen wolle, dann solle ich es nur sagen. So war auf jeden Fall erst einmal Denvers Downtown angesagt. Einfach zwei Stunden bummeln und einen Happen essen. Das war es auch schon.

Einen anderen Tag machten wir uns zum Pawnee National Grassland auf. Wie der Name es vermuten lässt, ist es eine weit offene Graslandschaft. Wir folgten ein paar staubigen Pisten bis unweit vor Nebraska und machten hier und da einen kurzen Halt um die Aussicht und Stille zu genießen. Das waren tolle Momente hier.

Auf den Rückweg machten wir im Restaurant Pepper Pod Stop, welches für eine besondere Spezialität bekannt ist – „Rocky Mountain Oysters“ also Bergaustern. Und wer jetzt Meeresfrüchte echt nicht ausstehen kann, den kann ich beruhigen. Hierbei handelt es sich nämlich um frittierte Bullenhoden (Ich weiß… das ist viel besser). Unsere waren in Streifen geschnitten und sahen wie kleine Schnitzel aus. Und es brauchte uns auch keine große Überwindung. Einfach rein in den Mund. Von der Konsistenz etwas fester und feiner, war es geschmacklich einem Schnitzel gar nicht mal so fern. Vielleicht lag es aber auch daran, dass es so tief frittiert war.

Ein weiteres kleines Highlight war das Rocky Mountain Arsenal National Wildlife Refuge. Früher eine Militäreinrichtung, dient es heute großen wie kleinen Tieren als Rückzugsort am Stadtrand von Denver. Und neben den bekannten Präriehunden und Rehen gab es hier zu unserer Überraschung tatsächlich Bisons zu sehen. Damit war das Ende dieser Saison wirklich gelungen.

An dieser Stelle ein großes Danke an dich Marco, deine klasse Ehefrau Elise und Tochter Amber und eure außerordentliche Gastfreundschaft, das gute Essen, die Zeit die ihr euch genommen habt und die Star Wars-Abende. Es war eine wirklich gute Zeit mit euch und ich vermisse die Karatestunden (Insider ;-D).

Nach 3438 Kilometern ging jetzt diese Saison zu Ende. Wie immer mit einem lachenden und weinenden Auge. Es sind viele gute Geschichten mehr in meinem Kopf als dass ich sie hier alle niederschreiben könnte. Die eine oder andere Story werde ich in den kommenden Wochen bestimmt noch nachlegen. Ich kann soweit echt keine schlechten Worte über die Leute in Kanada und den USA verlieren. Es war einfach ein guter Sommer und ich freue mich wiederzukommen. Dann soll es von weiter von Denver nach New York City gehen und dabei werde ich bestimmt so manches Gesicht wiedersehen.

Amerika… Ich sage “See You Again!”

Rocky Mountains National Park

Die letzte große Etappe stand die Tage an und es sollte hoch hinausgehen. Auf dem Weg nach Grand Lake lief ich durch eine imposante Schlucht durch die sich der noch junge Colorado River frisst. Dahinter öffneten sich breite Täler mit den Lake Granby, Shadow Mountain Lake und Grand Lake. Hier oben auf 2500 Metern waren die Temperaturen noch super angenehm. Segelbote die sich gemütlich durch das Wasser schieben oder rasante Motorboote mit Wasserskifahrern waren so Hingucker. Auch ich habe mich für ein kühles Bad am Abend am Stillwater Campingplatz hinreißen lassen.

Dann ging es auch schon in den Rocky Mountain National Park (RMNP). Der sah erst einmal mit seinen vielen toten und verbrannten Bäumen etwas trostlos aus, tobten in 2020 hier große Feuer. Aber dieses Bild änderte sich bald in viel Grün. Die Hinweisschilder und Aushänge am Campingplatz sagten unter anderem, dass man sich nicht wundern solle, wenn beim Abendessen ein Hirsch oder Elch vorbeischaut. Der RMNP ist für seine großen Populationen dieser bekannt. Und so kam es, dass ich schon beim Frühstück am Morgen darauf eine Hirschkuh und ihr Kalb 30 Meter vor der Nase hatte. Ist schon klasse, wenn man sich ein Nutellabrot in den Mund schiebt und diesen Anblick hat. Viel Zeit blieb aber nicht. Ich musste aufbrechen.

Der Weg nach Estes Park wäre für einen Tag ohnehin zu weit gewesen. Dazu kam aber noch der lange Anstieg und im Nationalpark kann ich nicht einfach mal so irgendwo mein Zelt aufschlagen. Also ließ ich mein Zelt sowie alles nötige für die Nacht sowie mein Abendessen und Wasser am Campingplatz zurück. Von einer Ausgangshöhe von 2700 Metern zog ich meinen Karren bergauf. Ziel: 3713 Meter. Ich war gut drauf an diesem Tag und schlich fast schon gemütlich bergauf. Ab 3200 Metern ging dann aber doch die Atemfrequenz merklich nach oben ich brauchte die ein oder andere Pause mehr. An der Medicine Bow Curve war dann große Pause. Ich genoss den Ausblick und kam natürlich mit den Leuten ins Gespräch. Prompt wurden mir Naschereien und Bier angeboten. Was für ein guter Tag.

Ein Problem für den Tag war aber noch offen? Wo kann/darf ich meinen Karren über die Nacht parken? Ich hielt ein Ranger-Auto an und fragte nach einer Lösung und sie sagten mir, dass ich einfach oben im Besucherzentrum bei einem Ranger mein Anliegen vorbringen soll. Das war nicht mehr weit und so fragte ich dort nach. Der junge Ranger musste auch erst einmal seinen Vorgesetzten fragen aber nach 10 Minuten kam er mit dem Daumen nach oben auf mich zu. Ich könne meine Kiste hinter dem Haus anschließen. Er müsse dann nur noch meine Personalien an die Zentrale durchfunken wofür ich meinen Pass überreichte. Und dann war die Sache auch schon gegessen. Zwar wäre ich gern noch etwas weiter gelaufen und hätte den Karren gern irgendwo an der Straße geparkt, denn zum Pass waren es noch rund weitere 100 Höhenmeter und dem Weg nach Estes Park hätte ich damit auch noch gern etwas verkürzt aber es war ein guter Kompromiss.

So hielt ich auf den Weg zurück zum Campingplatz und am nächsten Morgen zurück zum Besucherzentrum den Daumen raus. Nach Estes Park waren es noch 38 Kilometer. Eine Distanz, die ich locker gehe aber nach dem 3713 Meter-Pass ging es halt auf 2300 Meter bergab und das ging mir ordentlich in die Beine. Das war super anstrengend – erst recht, wenn noch mein Wagen mir in die Hüften drückt – und am Ende auch schmerzhaft.

Aber hey!!! Die ganze Szenerie war es wirklich wert. Das Wetter hat einfach nur gepasst. Besonders in den Morgenstunden ist das Spiel von Licht und Schatten in den Bergen einfach nur wundervoll. Der Ausblick… einfach nur genial und in dieser Höhe sprichwörtlich atemberaubend. Und auch hier oberhalb der Baumgrenze sah ich noch allerhand Hirsche, und zum ersten Mal auch Murmeltiere.

In Estes Park angekommen war ich echt fertig. Ich suchte mein Hostel, stand sogar schon davor aber hatte es echt nicht gecheckt. Also ging ich zur Hauptstraße zurück um weiter nach der Adresse zu suchen als Kerl da auf mich zukam. Er, seine Frau Mary sowie Freundin Cheryl und Ehemann hätten mich die Tage ein paar Mal gesehen und so luden sie mich auf ein paar Bier und Abendessen ein. Eine Einladung, dich sehr gern annahm. Das Hostel konnte warten. So müde ich auch war, so war der Abend mit den Vieren ein wundervoller Ausklang des Tages mit vielen Lachern. Danke dafür!

Noch eine lustige Sache: Kurz vor Estes Park an einer Kreuzung hielt ein Wagen und der Fahrer fragte mich, ob ich ihn wiedererkenne. Es ratterte in meinem Kopf. Es war Kyle, der Ranger aus dem Yellowstone Nationalpark, der es mir ermöglichte, auf dem leeren Campingplatz am Lewis Lake zu übernachten (Beitrag „Yellowstone und Grand Teton Nationalpark (2/2)“). Meine Überraschung und Freude war groß, ihn hier noch einmal zu sehen und er war auch ganz baff. Er fuhr ran und wir hatten noch ein paar Minuten geschnackt bevor er weiter musste. Er verbringe ein paar freie Tage in der Gegend. Ja man sieht sich echt immer zweimal im Leben.

Colorado

Die Landstiche, durch die ich die letzten Wochen gewandert bin, waren schon etwas herausfordernd. Wyoming, Idaho, Utah und nun auch Colorado… Trockene Halbwüste, Berge mit Wäldern, grüne Täler. Es war ein recht bunter Mix und die Leute auf meinem Weg waren natürlich auch wieder genial.

In der kleinen Stadt Mountain View zum Beispiel, ganz im Südwesten Wyomings hielt Michaela mit ihrem Auto an. Sie kommt ursprünglich aus einem kleinen Ort an der Grenze zu Österreich und lebt nun schon knapp dreißig Jahre in den USA. Und da man sich unter Deutschen in der Ferne doch recht sympathisch findet, lud sie mich zu sich nach Hause und ihrer Familie ein. Hier konnte ich nach einer ganzen Weile endlich mal wieder die Füße hochlegen und etwas ausspannen. Und Geburtstag hatte sie auch noch und ich wurde mit ins Restaurant eingeladen.

Es sind immer wieder diesen kleinen Begegnungen und Geschichten. Ich erinnere mich an Jimmy in Garden City, Utah, der mir seinen Camper für die Nacht überlassen hatte. Ein Typ dessen Vergangenheit durch Drogen bestimmt war, der aber noch die Kurve bekommen hatte, jetzt in einem Restaurant kocht und sich Mitternacht noch in die Küche gestellt hatte, um mir das Fresspaket für den nächsten Tag zuzubereiten.

Eine Frau hielt am Morgen an und gab mir eine riesige Tüte voll mit Süßigkeiten. Nichts aus dem Supermarkt sondern aus dem „Chocolate Bear“-Laden, in dem alles noch handgemacht wird. Sie wolle einfach auf diese Weise etwas Liebe in die Welt tragen. Mit einer zusätzlichen riesigen Umarmung hat sie das geschafft. [Sie roch so sehr nach Himbeerkonfitüre] Die Tüte hatte bestimmt zwei Kilogramm Gewicht und mindestens 50 US-Dollar wert. Das war so viel Süßkram, dass ich es in einem Monat nicht hätte essen können/wollen. Und ich hatte auch kaum die Kapazität im Wagen und Rucksack. Bei nächster Gelegenheit fragte ich eine Familie, ob die Kids etwas haben dürfen. Ich hatte nicht viel für behalten. Ein paar getrocknete Früchte mit weißer Schokolade überzogen und das war es. Und ich war wieder um eineinhalb Kilogramm Liebe leichter unterwegs.

Die Distanzen zwischen den Orten sind weiterhin groß. Auch wenn ich immer ausreichend Wasser mit mir mitführe, so winke ich gelegentlich mit einer leeren Wasserflasche in den Verkehr. In diesen Gegenden weiß man einfach nie. Es dauert nie länger als zehn Minuten bis ein Auto stoppt und ich meine Flasche auffüllen kann.

Glücklicherweise hatte ich bisher recht viel Glück mit den Temperaturen. Meist waren es immer so um die 25°C, seltener an die 30°C. Nur gab es kaum einen Nachmittag oder eine Nacht, an dem kein Regen oder gar Gewittersturm aufzog. So manche Nächte in meinem Zelt waren schon recht einschüchternd, wenn es keine Sekunde vom Blitz zum Donner dauert, der Wind das Zelt durchschüttelt und der Regen nur so prasselt. Manchmal war da auch irgendwo ein Haus, unter dessen Vordach ich Zuflucht fand und abwarten konnte.

Diese Zeiten scheinen nun aber auch vorbei zu sein. Der Herbst hält Einzug. Die Tage sind merklich kürzer geworden, die Sonne steht tiefer und hat nicht mehr die Kraft, feuchtwarme Luft aufsteigen zu lassen. In der Nacht zum 29. August hatte ich das erste Mal seit Mai wieder Frost. Die Tage sind super sonnig, bringen aber frischen Temperaturen. Perfekt zum Wandern.

Nun, für diese Saison ist es fast geschafft. Ich bin in der kleinen Stadt Kremmling und lege einen Ruhetag auf dem Campingplatz ein. Vielleicht verlängere ich auch noch um eine weitere Nacht. Denver ist nicht mehr weit. Etwas mehr als eine Woche vielleicht. Es liegt aber noch eine Herausforderung vor mir. Es wird die Trail Ridge Road entlanggehen mit einem Pass von 3713 Metern Höhe. Es wird also sprichwörtlich atemberaubend. Es wird damit wohl auch der höchste Punkt meiner gesamten Reise werden. Jeder andere Weg wäre wohl auch zu einfach. Wenn ich meinen Karren da hochziehe, werde ich sicherlich wieder um einiges fluchen. Genau wie von ein paar Wochen, als es die Serpentinen in den Uinta Bergen hochging. Aber wenn man dann erst einmal oben ist und den Ausblick hat…