Stress und Bereicherung

Der Verkehr vor den Toren Istanbuls ist fast mörderisch. Doppelt durchgezogene Mittellinien der Fahrbahn haben hier wohl keine Bedeutung. Da wird überholt wie es gefällt und wenn die mich dann auch noch belehren wollen, auf welcher Straßenseite ich zu laufen habe… ohne Worte. Lkws krachen die Kurven rum, dass sie umzukippen drohen und meist wird erstmal das Bremspedal mit der Hupe verwechselt.

Vor zwei Nächten landete ich in einem kleinen Ort und traf auf Tok, einen Türken der seit knapp 40 Jahren im Ruhrpott lebt. Nachdem er mir eine Nacht bei einem Freund im Garten vermittelt hatte, lud er und seine Frau mich noch für den nächsten Tag zu sich nach Hause in Arnavutköy zum Tee ein. Klar, warum nicht? Liegt sowieso auf dem Weg.
In der Stadt stand ein Lkw mit Warnblinklicht auf der Straße. Da Gegenverkehr war und rechts zum Bürgersteig mehr als genug Platz war um dort vorbeizugehen entschied ich mich dafür. Auf mittlerer Höhe des Lkws fuhr dieser plötzlich los und zog nach rechts. Sein Hänger drückte plötzlich meinen Wagen an die großen Bordsteinkanten. Ich brüllte wie verrückt STOP, STOP… ! Er hielt an. Ich sah in seinem Rückspiegel wie er kurz zur Entschuldigung den Arm hob und dann fuhr der Idiot weiter und drückte noch mehr gegen meinen Hänger. Ich notierte mir noch das Kennzeichen und stoppte ein Auto. Der Fahrer rief die Polizei aber das waren Lahmärsche. Die verstehen meine Sprache nicht, also warum sich dann auch die Mühe machen irgendwelche Fragen zu stellen oder gar mal Personalien aufzunehmen. Ich dachte mir dann „Lasst es gut sein ihr Schlafmützen.“ Es war „nur“ ein Reflektor verbogen, den ich wieder geradebiegen konnte. Die Acht in meinem Rad hatte ich eh schon aus Rumänien mitgebracht.
STRESS

Ich setzte meinem Weg zu Tok und seiner Frau fort. Hatte echt zu tun meinen Frust ihnen nicht zu zeigen. Es gab eine Kleinigkeit zu essen und zu trinken. Das stimmte mich dann schon wieder besser und da ich so weit wie möglich an Istanbuls Stadtgrenze wollte (das war meine 48km-Etappe), musste ich mich aber schon bald wieder aufmachen.
BEREICHERUNG

Nach Istanbul hinein führte eine Schnellstraße. Das ist weniger ein Problem, da es einen breiten Standstreifen gibt auf dem ich ungestört laufen kann. Nur die lärmenden Autos sind unerträglich für mich. Irgendwann kam jedoch eine Baustelle. Aus drei Spuren wurden zwei, der Standstreifen fiel weg und es wurde ziemlich eng. Damit die Autos nun auch genügend seitlichen Abstand zu mir hielten, hing ich meine Warnweste über meinen linken Arm, welchen ich ausstreckte. Es dauerte nicht lange, da musste ich schon wieder wegen der Ignoranz und Dummheit der anderen brüllen. Ein kleiner Bus hatte es tatsächlich geschafft mir gegen die Hand zu fahren. Da versucht man nun schon alles möglich zu machen um im Verkehr gesehen zu werden… Sinnlos
STRESS

Spät erreichte ich einen kleinen Park gegenüber einer riesigen Moschee. Mein Zelt war schon aufgestellt da kam ein Polizist und meinte, es sei ein Problem, dass ich hier Zelte. Was daran ein Problem war konnte er mir zwar nicht sagen aber er verwies mich auf die Mosche. Ein Junge führte mich zum Eingang und erklärte den Leuten meine Situation. Es war viel Trubel in der Moschee. Ich wurde von den Leuten herzlich begrüßt. Salim, ein Pakistani nahm sich meiner an und erklärte mir, dass dies ein islamisches Zentrum sei und ich Glück hätte. Jeden Donnerstag gäbe es eine Veranstaltung an dem die Leute in das Zentrum reisen um sich zusammen auszutauschen und zu beten. Viele übernachten dort und auch ich könne dies tun. Na wunderbar! Ich konnte dort duschen und danach nahm ich mit am Gebet teil. Salim erklärte mir, was ich zu tun habe. Nach dem Gebet sammelten sich noch ein paar Gruppen (für jede Sprache eine). Es wurde aus dem Koran rezitiert und über das rezitierte diskutiert. Da ich bei Salim verblieb, fand das alles auf Urdu statt.
Dann war es Zeit für das Abendessen. Alles versammelte sich im Speisesaal. Man saß auf dem Boden und es wurden echte Köstlichkeiten serviert. Jeder der Teilnehmer brachte etwas mit, so auch Salim, der typisch pakistanisch kochte und dies erinnerte mich schon voll an die indische Küche. So lecker … mhhhhhhh.
Nach der Nacht im Schlafsaal zeigte mir Salim noch die rituelle Waschung vor dem Morgengebet an dem ich noch teilnahm. Ich muss noch sagen, dass der Imam eine wundervolle Stimme hatte und mit seinem Gesang eine beeindruckende Atmosphäre schaffte.
BEREICHERUNG