Zufall oder Fügung? Entscheide ich mich oder wird über mich entschieden? Ich denke „Sowohl als auch“. Oft stellt sich mir die Frage nach meiner Route. Biege ich links oder rechts ab? Welche Route verspricht den meisten Komfort und bessere Infrastruktur, die ruhigere Straße, die schönere Landschaft, die besseren Geschichten und Fotos? Ich entscheide! Richtig sicher kann ich mir aber nie sein. Gehe ich rechts, dann verpasse ich alles, was links neben mir liegt und gehe ich links, verpasse ich all das, was rechts neben mir liegt. Ich kann nicht alles sehen und erleben aber darum geht es mir auf meiner Reise auch nicht. Ich laufe einfach. Ich lauf und lauf und lauf und denke nicht darüber nach, was ich verpasst haben könnte. Lieber verbleibe ich im Moment, sauge Ort und Augenblick in mich ein und weiß, dass es die richtige Entscheidung war. Und auch wenn es manchmal richtig hart ist, ich an einem Berg fast verzweifle, die Dunkelheit anbricht und ich noch keinen geeigneten Platz für mein Zelt gefunden habe, das Wasser vielleicht knapp wird oder was auch immer noch so schief gehen kann… Ich bereue die Entscheidung ob rechts oder links nicht. Ich wachse an allen Hürden.
Eine Sache liegt aber nicht in meiner Hand. Zufall oder Fügung? Es sind die Menschen denen ich begegne. Sie halten neben mir auf der Straße und reichen mir eine Flasche Wasser, Cola oder einen Kaffee, Kekse oder Schokolade. Sie laden mich in ihre Häuser ein, machen mir Abendessen und Frühstück. Oder einfach nur die Frage, ob ich Hilfe brauche. Viele Gespräche die über das gewöhnliche „Wo kommst du her und wo willst du hin?“ hinausgehen. Es kommt auch mal vor, dass sie mir Geld in die Hand drücken und sagen „Hier! Kauf dir da drüben was zu essen.“. Alle diese wundervollen Gesten der Offenheit und Großzügigkeit… Es berührt jedes Mal mein Herz.
Was mir aber immer noch nicht so in den Kopf will, das sind so diese verschiedenen Extreme. Und ich rede nicht vom Wetter. Da ziehe ich diesen Karren hinter mir her, eine Kiste, in der alles Überlebenswichtige enthalten ist. Ein sehr minimalistisches Leben welches viel entbehrt. Man reduziert sich auf Grundbedürfnisse. Essen, Trinken, Schlafplatz und Hygiene. Dann komme ich in eine große Stadt, gönne mir einen Burger. Ich habe einen Gastgeber der mich durch die Straßen führt. Ich lerne seinen Freundeskreis kennen und finde mich kurz darauf in einer Diskothek wieder. Laute Musik… Ich brauch ein Bier. Bald darauf gehe ich wieder meinen Weg allein. Mein ganzes Equipment leidet unter Sonne, Hitze, Kälte und Feuchtigkeit. Die Kleidung zerschlissen sehe ich aus wie der letzte Penner. Arme Bauern bieten mir einen Schlafplatz an. Das Abendessen besteht aus Reis und gekochten Blättern. Und vorgestern stand ich in einem 15.000 Euro (!) teurem Kimono auf einer Gartenparty bei Bratwurst mit Senf, Kartoffel- und Heringssalat, Schweinebraten und und und in der Deutschen Botschaft in Tokio. Ich tanze zu alten Rock-Klassikern und der Gedanke kommt in mir hoch „Fuck! Das ist alles so wirr. Was passiert hier eigentlich? Gestern so, heute so und morgen stehe ich wieder mit meinem Karren auf der Straße und mühe mich durch die schwüle Hitze Südostasiens. Boah!“ Und ich merke, ganz gleich wo ich mich in dieser Welt aufhalte, sie beeindruckt mich immer wieder. Sie bietet mir immer wieder etwas Neues, etwas absolut Unerwartetes. Ich möchte keine dieser Erfahrungen missen. Dieser ganze Kontrast prägt mich und meine Reise.
In einer Zeile des Liedes BORN TO BE WILD heißt es „Take the world in a love embrace” oder zu Deutsch “Nimm die Welt mit einer liebevollen Umarmung“. Den Satz merke ich mir. Und am Ende ist wohl alles Fügung.