Oki – Hand aufs Herz

An meinem vorletzten Abend in Kanada kam ich an den Rand des Reservats der Blutindianer (Blood Indian), einem Schwesterstamm der Schwarzfußindianer (Blackfeed Indian). Hier einfach mal sein Zelt aufzustellen ist so eine Sache. Es mag einige Indianer geben, die es vielleicht gelassen sehen, für die anderen jedoch ist es das letzte Stückchen Land, welches ihnen geblieben ist. Die Geschichte der Invasion durch die Europäer ist vielschichtig und doch recht düster. Da gibt es nichts zu beschönigen. Verständlich, dass man da vielleicht doch unerwünscht ist.

Von einer Brücke aus sah ich Kinder im Back planschen. Die Eltern saßen am Strand und ich winkte hinüber. Sogleich kam der Vater die Böschung hinauf. Augenscheinlich ein Indianer. [Anmerkung: Glaubt nicht, dass die hier mit Federn im Haar und mit Pfeil und Bogen herumlaufen. Heutzutage kleiden sie sich westlich.] Immer gleich die Hand zu reichen ist je nach Kulturraum oftmals unüblich. Doch wie begrüßt man eigentlich einen Indianer respektvoll? Ich hatte keine Ahnung. Aus meiner Erfahrung kann ich aber sagen, dass eine Geste immer funktioniert. Ich legte meine Hand auf die Brust und sprach ein kleines „Hello!“. Sofort erwiderte mit gleicher Geste und oben angekommen legte ich nochmals die Hand auf die Brust und er tat dem gleich. Irgendwie schien so gleich das Eis gebrochen und er stellte sich als Junior vor zusammen mit seiner Frau Christel.

Natürlich gab es mal wieder viele Fragen zu meiner Reise aber auch wollte ich doch etwas über das Leben der Ureinwohner heutzutage wissen. Kleine Geschichten über die Jagd, wo die Kinder zu Schule gehen, Verwaltungsstrukturen aber auch zunehmende Drogenprobleme in den Gemeinden füllten den Nachmittag bei einem kleinen Feuer am Bach.

Da es keine besonderen Campingmöglichkeiten weiter innerhalb des Reservats gebe, erlaubten er und seine Frau mir, die Nacht am Bach verbringen zu können, womit ich mich ein kleinen wenig geehrt fühlte. Und was mir noch mit auf den Weg gegeben wurde war das Wort „Oki“, was in der Sprache der Blut- und Schwarzfußindianer der allgemeine Gruß sei. Man würde es schätzen, wenn ich sie so grüße.

Offene Weite

Vor drei Tagen habe ich nun den letzten großen Pass in Kanada genommen. Bei bestem Wetter ging es mit reichlich Rückenwind und Schiebesonne geschmeidig ohne nennenswerte Steigung zum Crowsnest Pass hinauf. Es bedeutet so langsam den Abschied von den Rocky Mountains – vorerst.
Vor mir liegen die offenen Great Plains Albertas. Weites Grasland bis zum Horizont… Prärie… auf rund 1200 Metern Höhe. Wie sehr habe ich mich nach diesem Anblick gesehnt. 🥺 Die Rocky Mountains sind fantastisch anzusehen aber mein Herz schlägt für diese offene Weite. Hier kann ich mich verlieren. In den folgenden Bildern könnte ihr den Übergang bestimmt gut nachvollziehen.

So langsam ist es der Zeit Richtung Süden einzuschlagen. Rechter Hand ragt die letzte Bergkette wie ein riesiger Wall hervor. Eine Grenze zwischen zwei Welten. Meine letzten Tage in Kanada sind dann auch gezählt. Der Checkpoint zu Montana ist nicht mehr weit.

Nach langer Zeit ist heute Nacht mal wieder ein Trampolin mein Bett. Bequemer geht es wirklich nicht. Die Nacht verspricht trocken und klar zu werden. In den Sternenhimmel zu starren… Was kann es schöneres geben?

Wynndel

Die Fahrt mit der Fähre von Balfour nach Kootenay Bay bot nach dem vorherigen Regentag eine wundervolle Szenerie. Immer noch liegt der Schnee auf den Berggipfeln. Zum Nachmittag traf ich dann auf Wiebke sowie Anika zusammen mit Denis. Wir entschieden uns, die Nacht zusammen irgendwo versteckt im Wald zu campen. Sie würden so maximal 12 Kilometer vorrausfahren und Wiebkes Mückenspray am Straßenrand sei der Hinweis für mich, an der Stelle Halt zu machen. So hatten wir ein gemütliches Camp zusammen. Na ja, mein Zelt war echt über Stock und Stein aufgestellt und es war wohl die schlechteste Nacht seit langem die ich hatte. Am Abend hatte ich noch ein kaltes Bad im Kootenay Lake genommen. So im letzten Licht des Tages verbreiteten die Berge und der See eine sehr mystische Stimmung.

Es war auch an der Zeit mal etwas zurückzugeben. Anika hatte eine ähnliche Sony-Kamera wie ich und als wir darüber sprachen, zeigte sie mir den Steinschlag in der Mitte des Objektivs. Sie meinte, man könne noch Bilder damit machen aber jegliches Gegenlicht mache die Bilder dann doch wertlos. Ich hatte auch mal mein Objektiv fallen lassen und der Fokusring war danach schwergängig und ungenau. Darauf kann man aber mit Autofokus verzichten. Die Bildqualität war nicht eingeschränkt. So war es mein Ersatzobjektiv, da ich mir das gleiche noch einmal gebraucht gekauft hatte. Da ich mir sicher war, es doch nie wieder zu verwenden und es nur sinnfrei mit mir rumschleppen würde, habe ich es ihr dann einfach überlassen. Ich hoffe du hast Freude damit Anika!? Ach ja. Tomatensauce aus der Dose habt ihr auch bekommen. Ich dachte das war Pasta in Tomatensauce, so wie es das Bild versprach. Nun ja, den Abend hab ich dann halt nur Tomatensauce mit Brot gegessen.

Nathan (siehe Beitrag zuvor) hatte mir dann noch ein paar Tage zuvor die Kontaktdaten von seinen Gastgebern Cynthia und Fritz in Wynndel gesendet. Diesen hatte er bei seinem Stopp von mir erzählt und sie würden sich ebenso freuen, mich für ein paar Nächte beherbergen zu können. Und nun sitze ich in deren Haus, hatte zwei volle Tage die Beine hochmachen können und bin überglücklich nicht im Regen habe wandern zu müssen. Die beiden sind wundervolle Gastgeber und Fritz ist gelernter Koch. Also seit sicher, dass ich ausgezeichnet versorgt bin.

Beide sind 2006 mit ihren damals 10 und 12 Jahre alten Söhnen quer durch ganz Kanada von West nach Ost auf dem Fahrrad gereist. Was für eine grandiose Geschichte und was sie mir von ihren Abenteuern alles erzählen konnten. WOW!!! Und sie erzählen von all den glücklichen Begegnungen auf ihrem Weg genauso wie ich sie erlebe. Für sie ist es eine Selbstverständlichkeit, von ihrem erfahrenen Glück anderen wieder etwas zurückzugeben. Das ist einfach nur wundervoll.

Cynthia hatte ein paar Dinge in der Stadt zu erledigen und setzte mich an der Schwimmhalle ab. Hier konnte ich ein paar Bahnen ziehen und ganz gemütlich im heißen Pool entspannen. Einfach genial. Auch so haben sie mich ein wenig in der Gegend herumchauffiert damit ich von allem einen besseren Eindruck bekomme. Eine gute Gelegenheit noch ein paar Bilder machen zu können.

Ach wie soll ich diesen Stopp hier einfach nur beschreiben. Alles ist wirklich perfekt und mir mangelt es an nichts. Ich bin einfach nur überglücklich und zutiefst dankbar für das alles hier.

Obst, Gebäck, Wasser, Kaffee oder Bier…

Ohhh, es gibt so viele Geschichten zu erzählen gibt. Viel mehr, als ich hier schreiben kann. Kanada hat mir bis jetzt eine wunderbare Zeit beschert. Die Leute sind mega begeistert, heißen mich immer herzlich willkommen, feiern mich auf der Straße. So viele kleine Zufallsbegegnungen und zuvorkommenden Gesten.

Ob es etwas Obst, Gebäck, Wasser, Kaffee oder Bier, welches mir mit auf den Weg gegeben wird oder einfach eine Einladung auf dem Campingplatz zum Abendessen rüber zu kommen oder auf ein Glas Wein… Mich einfach nur auf dem Rasen hinterm Haus zelten zu lassen und eine heiße Dusche oder Wäschewaschen angeboten zu bekommen. Das ist mir alles so viel wert.

Vielen Dank an John und Kathleen, Mike with the Bike J, Brian, die Su Casa – Familie, Familie Schmalz, Lisa und Byron samt Eltern, Marilyn und die vielen anderen mehr. Ihr Leute seid einfach immer nur das Highlight des Tages.

Christina Lake – Castlegar

Am südlichen Ende des Christina Lake fand ich einen super Campingplatz und da die Wettervorhersage viel Regen versprach, bot es sich an, auf dem Christina Pine Campground zwei Nächte zu verbringen. Die hatten ein klasse Angebot für Radfahrer und eben auch Wanderer. Halber Preis, umgerechnet ungefähr 10,50 Euro für einen Platz, den man sich eben mit den Artgenossen teilt, Dusche, W-LAN und beheiztem Pool. Da konnte man echt nicht Nein sagen.

Hier traf ich auf Nathan, einem jungen Burschen aus Vancouver, der gerade seine Reise um die Welt auf seinem Fahrrad gestartet hatte. Wir waren uns schon die Tage zuvor in Greenwood begegnet, konnten uns aber nur zuwinken da ich auf der Hauptstraße stand und er auf dem Trans Canadian Trail unterwegs war und zirka 30 Meter weiter weg auf einer Brücke stand und beide Wege führten nicht unmittelbar zusammen.

Hier auf dem Campingplatz war dann natürlich viel Informationsaustausch angesagt. Er wollte wissen, welche Ecken der Welt ich bereist habe und ich wollte natürlich auch alles über seine Pläne wissen. Zu allererst möchte er durch Kanada von Vancouver Island bis nach Neufundland fahren bevor es dann irgendwann in den europäischen Mittelmeerraum geht und dann schaut er eben weiter. Ich bin jedenfalls immer begeistert gleichgesinnte auf meinem Weg zu treffen. Am Morgen danach konnte ich ihm nur noch mit einer festen Umarmung eine gute Reise wünschen. Möge er ebenso viele gute Erfahrungen machen wie ich sie machen konnte.

Ein paar Tage später schickte er mir ein Bild vom Weg zum Gray Creek Pass, eine Routenoption nach Kimberley, die auch mir vorschwebte. Der Weg war immer noch völlig zugeschneit und für Ihn gab es irgendwann kein Weiterkommen mehr so dass er wieder umkehren musste. Wäre wohl auch für mich kein Vergnügen gewesen und auch ohne Schnee hätte mich der Anstieg viel gekostet.

Am Abend traf ich dann auf Lorne der ebenfalls so neugierig war, dass er mich zum Feuer mit seiner Frau Deanne und den drei Chihuahuas vor seinem Campingwagen einlud. Bei ein paar Bier erzählte er mir über die Lebensweise der Duchoborzen, einer orthodoxen Religionsgemeinschaft mit ihren russischen Wurzeln und die friedliche Lebenseinstellung jener Gemeinschaft. Später machte er mir dann das Angebot, bei Ihm zuhause übernachten zu können. Er habe eh zum Wochenstart ein paar Dinge zu erledigen. War nur die Frage, bis wann ich es nach Castlegar machen würde. Es gab den 1535 Meter hohen Paulson-Pass zu überwinden und der hatte es in sich. Nicht, dass der Anstieg wirklich steil war. Er streckte sich halt einfach nur den ganzen Tag. Über neun Stunden brauchte ich bis da hoch und ich war fix und fertig. Ein Regenbogen stand am Himmel und ein guter Platz zum Zeltaufschlagen, so 200 Meter vor dem Pass, tat sich auf. Ein göttliches Zeichen, den Tag hier ausklingen zu lassen. Die Nacht versprach in dieser Höhe kalt zu werden. Also schnell Abendgegessen, meine Lebensmittel über ein hohes Straßenschild gehangen, Körperhygiene betrieben und dann rein in die lange Unterwäsche und in den Schlafsack.

Nun ging es den ganzen Tag bergab und diesmal brannte die Sonne ordentlich. Der Old Glory Mountain schob sich immer wieder in Szene. Ein wunderschöner Anblick. Nach 38 Kilometern erreichte ich dann den Stadtrand von Castlegar und Lorne holte mich ab. Wir luden meinen Karren auf seinem Pick Up Truck mit dem Versprechen, dass er mich am nächsten Morgen hier wieder absetzen werde. Zuerst besorgte er ein paar Sixpack Bier bevor wir seinen Eltern und Brüdern einen kleinen Besuch abstatteten. Es ging in ein kleines Nebental, wunderschön gelegen. Wir waren alle ein wenig angetrunken aber wir hatten einiges zu erzählen. Alle hatten so eine liebenswerte Art an sich, dass es schon sehr schade war wieder Auf Wiedersehen sagen zu müssen. Für mich war das ein kleines aber ganz besonders Stück Kanada.

Auf Nebenstraßen

Auf meinem Weg durch Kanada werde ich die meiste Zeit dem Highway 3, bzw. dem Nebenhighway 3A folgen. Dieser verläuft in etwa parallel zur US-Grenze und ist hier in den ländlichen Gegenden nicht allzu stark befahren.

Der 23. May war mit dem Victoria-Day ein offizieller Feiertag und bescherte den Kanadiern ein verlängertes Wochenende. Scheinbar halb Britisch Kolumbien war an diesen Tag auf dem Heimweg und auf dem Highway kam ein Auto hinter dem anderen. Die ganze Zeit auf den Verkehr achtgeben zu müssen ist super anstrengend und der andauernde Lärm ist irgendwann unerträglich. So musste ich mi die letzten zwei Stunden von Princeton echt laute Musik auf die Ohren legen um das alles irgendwie zu übertönen.

An diesem Tag gab es leider keine Ausweichroute für mich. Ansonsten versuche ich immer kleine Nebenstraßen zu laufen. Das ist nicht nur viel sicherer, oft ist es auch einfach die landschaftlich attraktivere Strecke.

Zwischen Keremeos und Penticton, hinter dem Yellow Lake, entschied ich mich dann einfach mal rechts abzubiegen. Am Golfplatz vorbei und hinter einer Siedlung öffnete sich dann ein weiter Blick ins Tal hinab. Hier, auf der White Lake Road, konnte ich dann die wichtigen Momente für mich finden. Momente, die diesen Trip für mich so einprägsam machen. Einfach nur Ruhe, Wind der durch das Gras und die Bäume weht und der Duft von den Blumen auf den Weiden. Dieser Ort war einfach nur so friedlich und dann bleibt man einfach mal stehen und geht tief in sich, saugt alles auf. Das ist einfach so wichtig.

Auch nach Verlassen von Penticton nutze ich die Möglichkeit und wanderte entlang der Obst- und Weingärten bei Oliver und Osoyoos, weit weg von der Hauptstraße. Wein ist hier ein großes Geschäft geworden. Eigentlich mehr so eine Touristenattraktion. Hier kann man sich ein Wochenende lang rumkutschen lassen und an mehreren Verkostungen teilnehmen. Das muss sich erst alles so in den letzte zehn oder fünfzehn Jahren etabliert haben. Die Landeigner haben einfach nur entdeckt, dass man damit viel mehr Geld machen kann. Was früher der Obstgarten Kanadas war, mit all seinen Kirsch-, Apfel- oder Pfirsichplantagen ist jetzt voll mit Rebstöcken.

Von Osoyoos aus erstreckte sich ein weiter Anstieg. Ich glaube um die sechs Stunden bis zum Pass gebraucht zu haben. Ein paar Leute hatten mich aus ihrem Auto heraus angefeuert. Ein Blick zurück von einem Aussichtspunkt war grandios. Das südliche Drittel des Sees war schon der US-Bundesstaat Washington. So nah. Bis ich die Grenze in die USA überschreite, wird es aber noch ein paar Wochen dauern. Erst einmal werden die Rocky Mountains überquert bevor ich nach Montana einmarschiere.