Der indische Mob

Als ich vor Wochen in Nashik Halt machte und bei meinem Gastgeber nebenbei die Nachrichten im Fernsehen liefen, da sah ich immer mal wieder Bilder, wie Menschen sich zu einem Mob zusammenfinden und es aushakt. Wahnsinn zu sehen, wie der Mensch innerhalb von Sekunden Millionen von Jahren in der Evolution zurückschreiten kann. Ich würde sogar behaupten, Affen sind da beherrschter.
Heute hatte ich mein Zelt etwas abseits der Straße auf einer netten Wiese zwischen der Feldern aufgeschlagen. Alles war friedlich und wie immer gucken auch noch nach Einbruch der Dunkelheit Leute vorbei. Mein Bitten mich nicht weiter groß zu stören, weil ich über vierzig Kilometer hinter mir habe und einfach nur schlafen wolle fand wenig Gehör (also taub sind sie auch) bis irgendwann sich der Ortsvorsteher einfand und ich alles nochmal in Ruhe erklärte und er dann die Leute wegschickte. Damit schien die Sache fast gegessen bis kurz drauf wieder Motorräder vorfuhren. Und wieder standen die Leute da. Vom Kind bis zur Großmutter, vom Teenager bis zum Mann. Ich kroch wieder aus dem Zelt und die Stimmung auf beiden Seiten wurde gereizter und die Stimmen laut. Der sogenannte „Landlord“ meinte ich solle gehen. Sei Privatland. Ist das erste Mal auf meiner Reise, dass sich jemand gestört fühlt wenn ich auf dem Acker pennen will. Eine Polizistin hatte sich mittlerweile auch als Zuschauerin eingefunden. Der Ton wurde rauer und es wurde fast handgreiflich. Und dann… dann brach der Mob los. Plötzlich zerrten ein paar Typen an meinen Zeltleinen, rissen die Heringe raus und alles fiel zusammen. Nur noch „Okay, I’m going.“ brachte wieder Ruhe.
Ey das ist so traurig bei diesem Volk und noch schlimmer, dass ich das hier am eigenen Leibe erfahren muss. Wie kann es nur so aushaken? Diese Leute sind einfach nur dumm. Das hat nix mit Ungebildetsein zu tun, so wie man es mir immer erklären möchte, nein diese Leute sind wirklich dumm und ignorant.
Ich packte mein Zeug so schnell es ging und bin genervt, traurig und enttäuscht in die Nacht.
Aber es gibt ja einen Gott. Die Polizistin eskortierte mich mit ihrem Wagen und nach zwei Kilometern gab es ein so was wie ein einfaches Gästehaus. Nun liege ich hier, hab meine Ruhe und sauber ist es auch. Der Besitzer meinte, ich sei sein Gast und die Nacht kostenfrei. Bei der Geschichte eine wirklich liebenswerte und großzügige Geste. Nur freundlich gucken kann ich noch nicht. Vielleicht sieht das morgen schon wieder anders aus aber nee… Ich bin nur am Kopfschütteln.

Gute Nacht dann.

Zelt

Mein über alles geliebtes Zelt. Ihr habt es sicherlich schon auf zahlreichen Bildern gesehen. Ich bin super zufrieden damit! Es ist leicht, geräumig und hat schon viel mitgemacht. Ich hatte es mir ursprünglich für einen Trip durch die Berge Kirgistans gekauft. Ich sag nur: 4000 Meter Höhe, im Schnee bei Nachttemperaturen von -20°C. Mein Geld hätte ich kaum besser investieren können. Und auch auf dieser Reise möchte ich es nicht missen. Leider nagt auch der Zahn der Zeit daran. Nach hunderte Malen Auf- und Abbauen, Insekten, die sich gern durch den Boden fressen und so manch stürmischen Wetter geht eben auch mal eine Naht auf oder ein kleines Lock muss geflickt werden. Nichts, was man nicht reparieren könnte.

Hersteller KAIKKIALLA, Modell Orava 2

 

 

Es handelt sich dabei um ein Vier-Jahreszeiten-Zelt. Heißt, dass man damit auch im Schnee gut unterwegs ist.

 

Varanasi

Irgendwie hatte ich diese Stadt völlig anders in Erinnerung. Etwas leiser, schlichter und spiritueller. Das hat sich für mich völlig gedreht. Was mir gleich aufgefallen ist, dass heute, anders als noch vor sieben Jahren, jeder mit seinem Smartphone Selfies schießt und besonders nach Sonnenuntergang fallen die gleißend hellen LED’s auf. Und von allen Seiten wird man angequatscht: „Kauf was bei mir!“. „Fahrradrikschatour… günstig!“, „Haschisch?… Some Naturals?“
Mit Abstand aber ist es bis jetzt die dreckigste Stadt in Indien die ich erlebe und mich wundert es nicht, dass ich gestern den schlimmsten Durchfall auf meiner Tour hatte. Da pissen die Leute an die Wände und der Urin rinnt am Straßenrand entlang. Wenig weiter wird Wäsche gewaschen und daneben steht auch schon der Chai-Händler. Ich habe ja viele Hemmungen und Empfindlichkeiten auf meiner Reise abgelegt aber hier würgt es mich um den Hals. Bähhh!
Nichts desto Trotz bleibt es die heiligste aller Städte in Indien. Die Glocken läuten zum Sonnenaufgang und Hunde bellen. Ungeachtet aller Verschmutzung nehmen die Gläubigen ihr morgendliches Bad im Ganges, tauchen kopfunter, spülen sich den Mund. Dabei kann ein Schluck dieses Wassers tödlich sein.
Die Stadt ist voller Heiliger aber eben noch mehr Scheinheiliger und Scharlatanen, von Bettlern ganz zu schweigen. Man muss ganz genau schauen. Der Heilige verlangt kein Geld, bettelt nicht. Er lebt einzig für das Göttliche. Auf meinem ersten Besuch in der Stadt, da saß ein Mann orange gekleidet an den Ghats und meinte zu mir „Gib mir Rupien! Ich bin heilig.“ Ich antwortete ihm „Du bist nicht heilig. Ich sehe die Gier in deinen Augen.“ Der Scheinheilige eben. Und die Scharlatane? Sie wollen dir die Zukunft voraussagen oder einfach nur ihre Souvenirs zu völlig überhöhten Preisen andrehen. Man muss aufpassen mit wem man sich einlässt.

 

Lautes Indien

In Indien scheint immer irgendwie Festival-Stimmung zu sein. In meinen ersten Wochen hier wurde ausgiebig Ganesh, dem Gott mit dem Elefantenkopf der zu Glück und Erfolg verhelfen soll, gehuldigt und bald darauf schon der Durga, welche unter anderem die weibliche Urkraft des Universums symbolisiert und auf einem Tiger oder Löwen reitet. So wurde in jedem noch so kleinen Ort eine kleine Bühne errichtet, wo die großen Figuren aufgebahrt werden. Dazu schallt es laute Musik. Zumindest scheinen die Inder es als Musik zu empfinden. Laute Beats, schriller Gesang und oft übersteuernde Lautsprecher ließen mich ganz schnell flüchten. Das Ganze geht vom Morgen an bis oft tief in die Nacht und wenn man nun mal in der Nähe eines Dorfes sein Lager aufschlägt, kann einen das echt um den Schlaf bringen.

Aber nicht nur die Musik, auch der Menschenschlag an sich lässt einen nicht immer ruhen. Ich erinnere mich an einen Abend, an dem ich an der Seite eines kleinen Feldweges kampierte. Ein paar hundert Meter weiter lag ein kleines Dorf und die Bewohner waren natürlich neugierig. Irgendwann wurde es dunkel und ich wollte in Ruhe in den Schlaf finden. Ging aber nicht, da sich immer noch Leute vor meinem Zelt befanden und redeten. Meine freundliche Bitte, dass nun alle nach Hause gehen könnten, einfach weil es stört, fand kein Gehör und so wurde ich echt laut. Dann begriffen sie es aber vielleicht wurde ich auch zu laut und aggressiv im Ton, so dass so gegen 9 Uhr die Polizei anrollte. NERV! Ich wurde nach Name und Herkunft gefragt und das war’s. Ich kroch in mein Zelt zurück und eine Stunde später stand wieder die Polizei da. Diesmal ein paar Leute mehr und ein Herr vom Forstamt der meinte, es sei gefährlich hier zu campen, da es Schlangen, Tiger und Leoparden gebe (ein paar Hinweisschilder zur Tierwelt hatte ich zuvor schon an den Straßen gesehen). Er versuchte mich zu überzeugen, ein paar hundert Meter weiter auf einer Art Plattform(?) zu campen. „Und? Umzäunt ist es nicht. Kann der Tiger trotzdem hochspringen.“ Ewige Diskussion bis sie es aufgegeben haben und zu guter Letzt noch meine Personalien kontrollierten und das war’s. – Dachte ich. 01:45 Uhr dröhnte mich wieder eine Polizeisirene aus dem Schlaf. Also krieche ich wieder aus dem Zelt und der Bulle fragt mich ob alles okay sei und ob er ein Selfi mit mir bekomme? Das war echt der Gipfel und ich war kurz vorm explodieren.
Einen Abend später in einem anderen kleinen Dorf etwas abseits der Straße einen schönen Flecken zum zelten und wie immer kamen ein paar Leute um zu gucken und um zu glotzen und um zu starren. Ein Junge sprach vernünftiges Englisch und ich erzählte ihm von der Vornacht und das ich wünsche, dass bitte niemand nach Einbruch der Dunkelheit an mein Zelt kommen solle, dass bitte niemand mit seiner Taschenlampe oder Smartphone in mein Zelt leuchten soll oder Fotos mache. Er übersetzte das den Umstehenden. Ich hoffte das Beste doch irgendwann wachte ich wieder von Schritten und Stimmen auf. Es kratzte kurz am Zelt und es hieß „Come out!“ … „No!“ … „Come out! I’m policeman!“ Gereizt öffnete ich mein Zelt, so dass nur mein Kopf durchpasste. Ich sah den Bullen. „OK. You are the policeman. But who are these other twenty people?“ … „These are people from the village. They want to see you.“ Das war dann wieder ein Grund laut zu werden. Ich schrie alle an, dass sie nach Hause gehen sollten und dass der Typ mich echt am Arsch lecken kann und ein Vollidiot ist. Er und die Leute verschwanden langsam wieder in Richtung Straße. Ich sah nur noch wie er telefonierte. Wenig später stand an der Straße einen Polizeiwagen mit aufblitzenden Lichtern. Waren wohl seine Kollegen die er gerufen hatte. Irgendwas wurde da kurz und laut diskutiert und plötzlich ging jeder seiner Wege. Wird wohl ein Arschtritt vom Chef gewesen sein.

Ich weiß nicht wie ich das beschreiben soll aber von einem nicht kleinen Teil der Inder, die mir bis jetzt begegnet sind, bin ich echt enttäuscht. Klar als weißer Mann bin ich auf dem Lande definitiv etwas Besonderes und ich bin in so manchen Kaff auch sicherlich der erste Weiße nach dem Ende der britischen Kolonialherrschaft 1947 aber was den Leuten fehlt ist so eine gewisse Sensibilität. Die denken halt nicht daran, dass der weiße Mann nachts einfach nur in Ruhe schlafen möchte. Sie verstehen vielleicht auch nicht, dass mein Zelt mein einziger Rückzugsort ist an dem ich das letzte Stückchen Privatleben habe und vielleicht verstehen sie auch nicht, dass sie nicht fünf Meter vor mir stehen sollen, wenn ich mich wasche. Liegt wohl daran, dass sie selber so etwas wie ein Privatleben nicht haben. Das funktioniert auch nicht, wenn eine zehnköpfige Familie in einer Hütte mit einen oder zwei Räumen lebt. Da wird die Morgentoilette am Straßenrand verrichtet. Da wird das Essen unter freiem Himmel gekocht und da wird sich am Dorfbrunnen gewaschen. Jeder Nachbar hat Einblick in das Leben des anderen und jeder kennt den nackten Arsch des anderen. Da gibt es keine Scham.
Und dieses Umfeld trifft nun auf mich. Keine Sensibilität für die Bedürfnisse des anderen. Nicht wissen einen respektvollen Abstand zu wahren. Vielleicht sollte man es „Indian Selfish“ nennen. Das fängt damit an, wenn ich eine meine Karte aufschlage oder ein Foto schieße. Plötzlich hängen sie dir von hinten auf dem Buckel um zu gucken was du da machst und du musst sie echt zurückschuppsen. Ich weiß noch, da war mal so was wie ein Getreidespeicher und zig Leute warteten mit ihren Trucks davor um Ware zu holen. Wenig weiter war ein Straßenrestaurant, welches bis auf die vier Mitarbeiter leer war. Ich wollt einfach nur eine kühle Limo genießen und glaubt mir. Ich bin zum Kühlschrank gegangen um mir eine Limo zu nehmen und so wie ich mich wieder zur Straße drehe, stehen da plötzlich vierzig Mann da und gaffen. Wie soll man da seine Limo genießen? Ein guter Kumpel von mir würde an dieser Stelle sagen: „Den Leuten fehlen echt 99 Pfennige an der Mark.“ und es ist wirklich so. Nicht alles Inder sind so anstrengend aber dennoch sind es zu viele.

 

Unterbrechung

Die Sache mit dem gewaschenen Reisepass in Dubai hat mich ganz schön in die Bredouille gebracht. Das dümmste was passieren konnte war aber, dass mein Indien-Visum nur für drei Monate ausgestellt wurde. Ich möchte es als organisatorischen Genickbruch bezeichnen. Fünf Monate wären mehr als ausreichend gewesen um bequem in Delhi die Visa für Myanmar und China zu beantragen aber diese Zeit habe ich nun nicht.
Lange habe ich nach einer Lösung gesucht. So besuchte ich das Deutsche Generalkonsulat in Bombay um mir einen neuen gewöhnlichen Reisepass ausstellen zu lassen und damit nach Nepal zu gehen. Dort hätte ich nochmal ein Indien-Visum und gleichzeitig die Visa für Myanmar und China beantragt. Mit dem neuen Pass aber wäre mein Notpass ungültig geworden und ich hätte mich noch zusätzlich mit der indischen Migrationsbehörde rumschlagen müssen. Am Ende würde ich auch mit drei Pässen reisen. Dem kaputten Pass, dem Notpass in dem das Visum für den kaputten Pass klebt und dem neuen Pass in dem ein Vermerk ist, dass ich einen ungültigen Notpass habe in dem ein Visum klebt, welches eigentlich in den kaputten Pass gehört hätte. Kommt ihr noch mit?

Da ich aber die Zeit in Indien lieber mit Laufen verbringen wollte und will, habe ich mir den ganzen bürokratischen Akt gespart und eine unglänzende und schwere Entscheidung getroffen. Ich werde Ende November meine Reise für drei bis vier Monate unterbrechen und nach Deutschland zurückkehren. Zeit also, um alles Nötige zu organisieren, mir vielleicht wieder einen schönen Speckmantel anzufuttern und mal schauen, was ich euch da noch so bieten kann.

Dumm gelaufen aber ich sehe auch das Positive an der Sache. Es ist eine gute Gelegenheit Familie und Freunde mal wieder in die Arme zu nehmen.