Lautes Indien

In Indien scheint immer irgendwie Festival-Stimmung zu sein. In meinen ersten Wochen hier wurde ausgiebig Ganesh, dem Gott mit dem Elefantenkopf der zu Glück und Erfolg verhelfen soll, gehuldigt und bald darauf schon der Durga, welche unter anderem die weibliche Urkraft des Universums symbolisiert und auf einem Tiger oder Löwen reitet. So wurde in jedem noch so kleinen Ort eine kleine Bühne errichtet, wo die großen Figuren aufgebahrt werden. Dazu schallt es laute Musik. Zumindest scheinen die Inder es als Musik zu empfinden. Laute Beats, schriller Gesang und oft übersteuernde Lautsprecher ließen mich ganz schnell flüchten. Das Ganze geht vom Morgen an bis oft tief in die Nacht und wenn man nun mal in der Nähe eines Dorfes sein Lager aufschlägt, kann einen das echt um den Schlaf bringen.

Aber nicht nur die Musik, auch der Menschenschlag an sich lässt einen nicht immer ruhen. Ich erinnere mich an einen Abend, an dem ich an der Seite eines kleinen Feldweges kampierte. Ein paar hundert Meter weiter lag ein kleines Dorf und die Bewohner waren natürlich neugierig. Irgendwann wurde es dunkel und ich wollte in Ruhe in den Schlaf finden. Ging aber nicht, da sich immer noch Leute vor meinem Zelt befanden und redeten. Meine freundliche Bitte, dass nun alle nach Hause gehen könnten, einfach weil es stört, fand kein Gehör und so wurde ich echt laut. Dann begriffen sie es aber vielleicht wurde ich auch zu laut und aggressiv im Ton, so dass so gegen 9 Uhr die Polizei anrollte. NERV! Ich wurde nach Name und Herkunft gefragt und das war’s. Ich kroch in mein Zelt zurück und eine Stunde später stand wieder die Polizei da. Diesmal ein paar Leute mehr und ein Herr vom Forstamt der meinte, es sei gefährlich hier zu campen, da es Schlangen, Tiger und Leoparden gebe (ein paar Hinweisschilder zur Tierwelt hatte ich zuvor schon an den Straßen gesehen). Er versuchte mich zu überzeugen, ein paar hundert Meter weiter auf einer Art Plattform(?) zu campen. „Und? Umzäunt ist es nicht. Kann der Tiger trotzdem hochspringen.“ Ewige Diskussion bis sie es aufgegeben haben und zu guter Letzt noch meine Personalien kontrollierten und das war’s. – Dachte ich. 01:45 Uhr dröhnte mich wieder eine Polizeisirene aus dem Schlaf. Also krieche ich wieder aus dem Zelt und der Bulle fragt mich ob alles okay sei und ob er ein Selfi mit mir bekomme? Das war echt der Gipfel und ich war kurz vorm explodieren.
Einen Abend später in einem anderen kleinen Dorf etwas abseits der Straße einen schönen Flecken zum zelten und wie immer kamen ein paar Leute um zu gucken und um zu glotzen und um zu starren. Ein Junge sprach vernünftiges Englisch und ich erzählte ihm von der Vornacht und das ich wünsche, dass bitte niemand nach Einbruch der Dunkelheit an mein Zelt kommen solle, dass bitte niemand mit seiner Taschenlampe oder Smartphone in mein Zelt leuchten soll oder Fotos mache. Er übersetzte das den Umstehenden. Ich hoffte das Beste doch irgendwann wachte ich wieder von Schritten und Stimmen auf. Es kratzte kurz am Zelt und es hieß „Come out!“ … „No!“ … „Come out! I’m policeman!“ Gereizt öffnete ich mein Zelt, so dass nur mein Kopf durchpasste. Ich sah den Bullen. „OK. You are the policeman. But who are these other twenty people?“ … „These are people from the village. They want to see you.“ Das war dann wieder ein Grund laut zu werden. Ich schrie alle an, dass sie nach Hause gehen sollten und dass der Typ mich echt am Arsch lecken kann und ein Vollidiot ist. Er und die Leute verschwanden langsam wieder in Richtung Straße. Ich sah nur noch wie er telefonierte. Wenig später stand an der Straße einen Polizeiwagen mit aufblitzenden Lichtern. Waren wohl seine Kollegen die er gerufen hatte. Irgendwas wurde da kurz und laut diskutiert und plötzlich ging jeder seiner Wege. Wird wohl ein Arschtritt vom Chef gewesen sein.

Ich weiß nicht wie ich das beschreiben soll aber von einem nicht kleinen Teil der Inder, die mir bis jetzt begegnet sind, bin ich echt enttäuscht. Klar als weißer Mann bin ich auf dem Lande definitiv etwas Besonderes und ich bin in so manchen Kaff auch sicherlich der erste Weiße nach dem Ende der britischen Kolonialherrschaft 1947 aber was den Leuten fehlt ist so eine gewisse Sensibilität. Die denken halt nicht daran, dass der weiße Mann nachts einfach nur in Ruhe schlafen möchte. Sie verstehen vielleicht auch nicht, dass mein Zelt mein einziger Rückzugsort ist an dem ich das letzte Stückchen Privatleben habe und vielleicht verstehen sie auch nicht, dass sie nicht fünf Meter vor mir stehen sollen, wenn ich mich wasche. Liegt wohl daran, dass sie selber so etwas wie ein Privatleben nicht haben. Das funktioniert auch nicht, wenn eine zehnköpfige Familie in einer Hütte mit einen oder zwei Räumen lebt. Da wird die Morgentoilette am Straßenrand verrichtet. Da wird das Essen unter freiem Himmel gekocht und da wird sich am Dorfbrunnen gewaschen. Jeder Nachbar hat Einblick in das Leben des anderen und jeder kennt den nackten Arsch des anderen. Da gibt es keine Scham.
Und dieses Umfeld trifft nun auf mich. Keine Sensibilität für die Bedürfnisse des anderen. Nicht wissen einen respektvollen Abstand zu wahren. Vielleicht sollte man es „Indian Selfish“ nennen. Das fängt damit an, wenn ich eine meine Karte aufschlage oder ein Foto schieße. Plötzlich hängen sie dir von hinten auf dem Buckel um zu gucken was du da machst und du musst sie echt zurückschuppsen. Ich weiß noch, da war mal so was wie ein Getreidespeicher und zig Leute warteten mit ihren Trucks davor um Ware zu holen. Wenig weiter war ein Straßenrestaurant, welches bis auf die vier Mitarbeiter leer war. Ich wollt einfach nur eine kühle Limo genießen und glaubt mir. Ich bin zum Kühlschrank gegangen um mir eine Limo zu nehmen und so wie ich mich wieder zur Straße drehe, stehen da plötzlich vierzig Mann da und gaffen. Wie soll man da seine Limo genießen? Ein guter Kumpel von mir würde an dieser Stelle sagen: „Den Leuten fehlen echt 99 Pfennige an der Mark.“ und es ist wirklich so. Nicht alles Inder sind so anstrengend aber dennoch sind es zu viele.