Der Kanchenjunga

Heute hieß es 03:30 Uhr aufstehen und warm anziehen. Zusammen mit Tom, einen Polen den ich hier in Darjeeling kennengelernt habe, heuerten wir wie viele andere Touristen auch einen Geländewagen an, der und zum Tiger Hill brachte. Von dort hat man einen wunderbaren Ausblick auf Darjeeling, in Richtung Sikkim und natürlich auf den Kanchenjunga.
Viele Touristen waren an diesem Morgen auf dem Tiger Hill unterwegs. Zu viele für meinen Geschmack. Ich schätze 500 Personen. Findige Geschäftemacher boten heißen Kaffee an oder auch Decken, Mützen, Handschuhe u.s.w.. Es war wirklich kalt. Die Leute quetschten sich auf eine Tribüne welche nach Osten zum Sonnenaufgang gerichtet war. Ich und ein paar andere schlaue Menschen dagegen positionierten die Kameras etwas abseits nach Norden auf den großen Berg. Sonnenauf- und Untergänge habe ich eh schon zu genüge fotografiert. Das eigentliche Spektakel ist nämlich, wenn die ersten Sonnenstrahlen dem Berg wie eine goldene Krone aufsetzen. Einfach malerisch.

Der Kanchenjunga ist mit 8586 der höchste Berg Indiens, der zweithöchste im Himalaja (denn der K2 steht im Karakorum) und der dritthöchste der Welt. Auf Grund seiner Nebengipfel heißt sein Name übersetzt soviel wie „Die fünf großen Schatzkammern des Schnees“.

Leider bringen Fotos nur selten die lebenswirkliche Perspektive und Größe nahe. Vom Tiger Hill aus gesehen befindet sich der Gipfel in rund 80 Kilometer Entfernung. Wenn man da so den Berg betrachtet, dann denkt man sich wirklich „Was für ein Brocken!“

 

Darjeeling

Die letzten zwei Tage in Bihar stimmten mich wieder etwas versöhnlicher. Irgendwie schienen mir hier die Menschen fröhlicher. Die Kinder waren wieder begeistert, wenn ich mit meinem Wagen vorbeizog und rannten nicht vor lauter Angst davon. Mit breitem Lächeln winkten sie mir entgegen. Der Kulturkreis änderte sich langsam. Ist Bihar doch sehr muslimisch geprägt, setzt sich hier in der Grenzregion zu West-Bengalen und Nepal immer mehr der Buddhismus durch. Dies sieht man nicht zuletzt an den immer mehr werdenden asiatischen Gesichtern. Eine neue Welt tat sich mir auf. Nie zuvor auf meiner Reise habe ich so viele lächelnde Menschen gesehen. Oft falteten sie ihre Hände und begrüßten mich mit „Namaste“ was ich so gern erwiderte. Ich war und bin so voller Freude seit dieser Tage.
Noch im Terai (Das Terai ist die Tiefebene bevor der Himalaja aufschießt) wichen die Reisfelder mehr und mehr den Teeplantagen. Dazwischen lange, dürre Palmen die keine Kokosnüsse mehr tragen. Das Klima änderte sich rasch – kühler, feuchter.

Die Berge lagen nun direkt vor mir und ich wusste, der Anstieg nach Kurseong wird hart. Ohh mannnnn! Die Karpaten in Rumänien oder der Kaukasus waren da schon fast ein Spaziergang. Steil schlängelte ich die Straße. Kleine Dörfer die an den Hängen lagen luden gelegentlich zum Verschnaufen ein. Das war bitter nötig. Als ich den Nachmittag auf Karte und Uhr schaute, da wusste ich, dass ich Kurseong nicht mehr bei Tage erreichen werde. Ich musste aber weiter, denn es gab weder die Möglichkeit zu campen noch war ein Gasthaus auf meiner Karte verzeichnet. Bis in die späte Dämmerung lief ich durch dichten Urwald und es wurde bitterkalt. An einem Schild vorbeikommend drehte ich mich um um es zu lesen und da stand „Homestay… bla“ drauf. Aus irgend einem Grund saß da eine Frau an der Straße die ich fragte wo dieses Homestay sei und sie zeigte auf die Abzweigung. Mich eine Buckelpiste hochquälend lag da ein kleines Dorf. Es war wirklich die Rettung für die Nacht. Für zehn Euro hatte ich eine heiße Dusche und je einen riesigen Berg Abendessen und Frühstück. Die gute Frau des Hauses muss sich echt gewundert haben, wo ich das alles hingedrückt habe.
Am nächsten Morgen, beim Verlassen des Hauses bot sich mir ein malerischer Ausblick in ein Tal und wo man auch hinschaute… Tee, Tee und noch mehr Tee. Bis nach Kurseong waren es noch 1,5 Kilometer aber ohne Scheiß, dafür habe ich echt über eine Stunde gebraucht. Ab da war es jedoch ein Kinderspiel. Die Straße schlängelte sich gemütlich zusammen mit den Schienen der Schmalspurbahn, dem sogenannten Toy Train, in Richtung Darjeeling.
Darjeeling war an diesem Tag auch nicht mehr zu erreichen. Das stand fest. Ich kam in ein kleines Städtchen namens Sonada, wo ich den restlichen Nachmittag und die Nacht verbringen wollte. Da stand eine Frau, die mit ihren blonden Haaren nicht so recht in das Stadtbild passte und auch sie wunderte sich über meine Gestalt. Heidi aus Norwegen. Wir setzten uns in ein kleines Restaurant und unterhielten uns. Ich fragte ob es ein Gasthaus im Ort gebe aber sie meinte nur, dass es im Ort nichts dergleichen sei. Bald darauf kam ihr Ehemann, ein Tibeter, hinzu und die Beiden luden mich für die Nacht zu sich nach Hause ein. Was für ein Seegen. Meinen Wagen konnte ich über Nacht im Kloster parken da nur ein schmaler Pfad zu ihrem Haus führte. Heidi ist für eine gemeinnützige Organisation tätig, die sich um die armen Kinder, unter anderem auch geflüchtet aus Tibet, kümmert. Sie vermietet ihre Wohnung in Norwegen und von dem Geld das übrig bleibt kauft sie den Kindern z.B. warme Kleidung oder Essen. Eine wirklich tolle Sache. Den Abend unterhielten wir drei und über unsere Lebensphilosophien und die harten Umstände, die das Leben für mich entlang der Straße und für sie in den Bergen so mit sich bringt.

Bevor ich am nächsten Vormittag aufbrach, erforschte ich noch etwas die Klosteranlage. Einige Leute kommen zu Sonnenaufgang und und drehen ihre Runden um die zahlreichen Stupas, knien oder verbeugen sich tief vor den Buddha-Statuen und brummeln ihre Mantras. Sehr Ehrfurcht erregend aber die Gänsehaut hatte ich wohl eher der eisigen Temperaturen wegen.
Nun bin ich seit gestern in Darjeeling und habe meinen alten Freund, den ich vor sieben Jahren hier fand, wiedergefunden. Der Kanchenjunga. Mit seinen 8586 Metern der dritthöchste Berg der Welt. Ein majestätischer Anblick der sich bietet.

 

Bihar

Die Tage nach Varanasi führte mich mein Weg noch etwas den Ganges entlang. Nahe Chapra überquerte eine weite Brücke den Ghaghara an deren Ende ich in Bihar angekommen war. Nahe eines kleinen Dorfes fand ich einen ruhigen Rastplatz am Ufer für die Nacht. Ungestört in Indien zu campen ist eine wahre Seltenheit. Es reicht wirklich, wenn man nur von einer Person gesehen wird. Diese erzählt dann im Dorf, dass da so ein komischer Typ ist der irgendwas hinter sich herzieht. Das verbreitet sich wie ein Lauffeuer und schon hat man das halbe Dorf um sich. Es nervt! Besonders wenn sie nach Einbruch der Dunkelheit kommen. Dann ist da halt auch noch die sprachliche Barriere und am Ende wissen die nichts mit mir anzufangen. Oft höre ich dann auch noch das Wort Pakistani. Da schrillen bei den Leuten die Alarmglocken, da ich ein Terrorist sein könnte und sogleich hab ich auch noch die Polizei vor dem Zelt. Und was ich hier so mit der Polizei in Bihar durchgemacht habe schreibe ich lieber nicht. Da staut sich nur wieder Wut an. Wirklich schlimm.

Weiter ging es durch die weiten Ebenen entlang der nepalesischen Grenze. Wie so oft lagen links und rechts von mir Reisfelder, die langsam erntereif wurden. Der Dorfalltag wirkt recht beschaulich. Der Reis wird gedroschen und zum Trocknen auf Tüchern ausgebreitet. Für Vögel ein gefundenes Fressen. Man melkt die Ziegen und Kühe, flickt die Strohhütte oder flechtet einen neuen Zaun aus Bambusstreifen. Aufgabe der Frauen ist es, Kuhdung und Stroh zu Brennmaterial zu verarbeiten. Da gibt es in Indien ganz unterschiedliche Techniken. In Maharashtra und Madhya Pradesh wird der Dung-Stroh-Fladen wie ein Halbmond geformt, die gerade Seite etwas dicker. So kann man den Fladen senkrecht zum Trocknen aufstellen. In Uttar Pradesch und West-Bihar wird er rund geformt und einfach an die Hauswand, einen Baum oder ähnliches geklatscht. In Ost-Bihar dagegen wächst massig eine Pflanze, die sieht so etwas dem Schilf ähnlich. Man nutzt ein paar dieser langen Stängel und formt den Dung entlang dieser. Sieht dann aus wie ein riesiger Kebab-Spieß. Ich weiß… Das ist Wissen, welches euren Alltag ungemein bereichern wird.

Je weiter ich nach Nordosten vordrang, desto mehr überlegte ich, wo ich denn nun meine Reise vorerst beenden werde. Die Stadt Siliguri schien perfekt. Dort gibt es jetzt nichts besonderes. Es ist eine Transitstadt da sie genau in dem schmalen Korridor zwischen Nepal und Bangladesch liegt. So bequem zu erreichen wenn ich wiederkommen und meinen Weg fortsetze.
Mit den Tagen sah ich im Norden in weiter Ferne jedoch Wolkenbänke. Das erste Anzeichen, dass der Himalaja nicht mehr fern ist, denn die feuchtwarme Luft vom Golf von Bengalen kommend steigt an den Bergen auf und kondensiert. Irgendwann schimmerte dann die Silhouette der ersten Berge hervor und von Tag zu Tag immer mehr und stärker bis sogar schon die ersten schneebedeckten Gipfel zu erkennen waren. Ich kam ins Schwärmen und Träumen und beschloss daraufhin in die Berge bis nach Darjeeling zu laufen und einen alten Freund wiederzusehen. Endspurt war angesagt.